Perspektivwechsel: Recruiting

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Die guten alten Recruiting-Zeiten sind endgültig vorbei. Selbst die vermeintlichen modernen Lösungsansätze wie Employer-Branding, Social Media oder Active Sourcing verlieren ihre Wirksamkeit, weil mittlerweile viele das Gleiche tun. Somit gehen die Alleinstellungsmerkmale verloren.  
 
Die beiden Autoren des Buches Candidate Profiling tendieren vom Employer Branding in Richtung Employer Reputation. Beim Employer Branding soll die Attraktivität des Arbeitgebers herausgestellt werden. Oft fehlt dort aber die Substanz hinter der Kommunikation, die Botschaften sind austauschbar und helfen den Kandidaten kaum beim Differenzieren.  
 
Employer Reputation hingegen funktioniert derzeit besser, denn der gute Ruf als Arbeitgeber gründet darauf, was Arbeitnehmer über das Unternehmen sagen. Und das ist glaubwürdiger als sich einfach nur bestimmte Werte zuzuschreiben.  
 
Die Kandidaten-Persona beschreibt zwar den idealtypischen Bewerber, kommt aber in der Praxis der gesuchten Person nicht wirklich näher. Bei dieser Methode ist man bisher kaum über die ersten Stufen hinausgekommen. Erfolgreicher gilt auch hier die „Agilität“ im Arbeitgebermarketing als Ausweis einer modernen Führungs- und Unternehmenskultur. Personalsuchende müssen daher immer deutlicher feststellen, dass die traditionellen Recruiting-Instrumentarien nicht mehr zu den gewünschten Resultaten führen. Für die Herausforderungen der Zukunft braucht es neue und mutige Ansätze und diese beginnen mit einem Perspektivwechsel: weg von der zu besetzenden Stelle, hin zur Zielgruppe der interessanten Kandidaten. Der Erfolg dabei liegt in einer individuellen und gewinnbringenden Ansprache. Die wiederum setzt eine genaue Kenntnis der Lebenswelten möglicher Kandidaten voraus.  
 
Dabei spielt Candidate-Profiling eine Rolle. Die Basis dabei bilden die enormen Datenmengen, die die Digitalisierung erzeugt. Algorithmen ermitteln daraus Persönlichkeitsprofile und Vorhersagen zum wahrscheinlichen Verhalten von Personengruppen. Das Verfahren dahinter nennt sich Predictive Analytics und wird zum Beispiel auch in der Psychologie und vor allem bei Partnerbörsen im Internet erfolgreich praktiziert. Im Personalwesen hat sich der Begriff Profiling für den Abgleich von Stellenbeschreibungen und Bewerberprofil eingebürgert. Dabei entspricht das Bewerberprofil der Rolle, die die Person im Unternehmen spielen soll. Candidate-Profiling erweitert diese Definition auf die gesamte Persönlichkeit – so kommen bspw. Aspekte der Lebensführung und Freizeitgestaltung in den Blick. Damit entstehen Ansatzpunkte, um gezielt mit geeigneten Kandidaten in Kontakt zu kommen. Im Gegensatz zu Active Sourcing beschränkt sich Candidate-Profilingnicht auf die zielgruppenspezifischen Kontaktpunkte im Internet, sondern dehnt den Aktionsraum des Recruitings auf die gesamte Lebenswelt aus. Candidate-Profiling aggregiert aus statistischen Daten und eigenen Recherchen ein möglichst genaues Bild von der Lebenswelt der anvisierten Zielgruppe. Schließlich geht es darum, ein Gefühl dafür zu entwickeln, wann und wo die gesuchten Personen positiv auf ein Arbeitsangebot reagieren können (wo lassen sich Touchpoints erkennen? Wo sollte die Suche beginnen?). 
 
Um die Umsetzung des Candidate-Profiling zu konkretisieren setzen Sie nach Ihrer bisherigen Zielgruppeneinordnung wie folgt auf: 
 
  • Fragenkatalog-Entwicklung, über dessen Beantwortung Sie herausfinden, wann und wo der beste Kontakt zum anvisierten Personenkreis möglich ist
  • mit Predictice Analytics und verfügbaren statistischen Informationen verdichten Sie das Bild Ihrer Zielgruppe
  • mittels Interviews mit eigenen Mitarbeitern nähern Sie sich noch weiter dem gesuchten Zielprofil an
  • Zusammenstellung möglicher Touchpoints und Erstellung einer Prioritätsreihenfolge
  • legen Sie die Art und Weise des Erstkontakts fest. Entwickeln Sie ein Kommunikations- und Kontaktkonzept
Suchstrategiebeispiel: Berufskraftfahrer
 
Der Onlinehandel führt zu dramatischen Wachstumsraten in der Logistik. Zuverlässige Fahrer zu finden, ist eine echte Herausforderung für Candidate-Profiling. Der Fahrerjob ist körperlich fordernd, deshalb findet man LKW-Lenker nach Feierabend eher in der Kneipe als im Fitness-Studio. Bars sowie Raststätten oder Tankstellen könnten also interessante Touchpoints sein. Neben dem Servicepersonal dieser Einrichtungen als Multiplikatoren oder Vermittler funktioniert vielleicht auch ein Aufkleber mit einem Stellenangebot an der Kasse. Da viele Fahrer Radio hören, könnte auch ein origineller Hörfunkspot Erfolg versprechen.  
 
Diese Art der Suchstrategie lässt sich auf alle Berufsbilder aufsetzen, vom Vertriebler über den Mediziner bis hin zur Gastronomie-Fachkraft. 
 
(Quelle: Candidate Profiling von Bernhard Schelenz und Oliver Gerrits, 2018)